Von besseren Zeiten träumen

Als ich neulich einen Spaziergang machte und schon eine Weile gelaufen war, wünschte ich mir eine Bank zum Ausruhn. Vielleicht nach der nächsten Kurve, dachte ich. Mein Wunsch wurde erfüllt. Da war eine Bank, doch da saß schon jemand. Als ich näher kam, sah ich eine ältere Frau, die da saß. Ich fragte sie, ob sie lieber allein sitzen wollte oder ob ich mich neben sie setzen dürfte. Sie antwortete: „Selbstverständlich, die Bank gehört mir doch nicht allein. Da ist auch Platz für Zwei“. „Danke“ sagte ich und setzte mich und meinte: „Ich muß mich unbedingt mal ausruhen, ich bin schon ein ganzes Stück gelaufen“. Da sagte sie: „Sie sind doch noch so jung“, was soll ich alte Frau denn sagen“ und lachte dabei und ich erfuhr, dass vor kurzem die 70 gefeiert hatte und dachte nur, dass ich bis dahin noch ein bißchen Zeit hätte. „Ja“ meinte ich „meine Füße sind wohl älter als mein Geist, sie sind immer so schnell müde“, dabei gehe ich oft spazieren“. „Sehen sie“ meinte die Frau. „Bei mir ist es wohl umgedreht. Meine Füße werden gar nicht schnell müde, aber wenn ich anfange zu denken oder mir einen Film anschauen will, dann werde ich ganz schnell müde. Man muß mit dem zufrieden sein, was man hat. Hauptsache es geht noch was. Da mußte ich in Gedanken grinsen, denn mir fiel eine Textzeite von einem Lied ein… „Hallo, was geht…“. Aber damit war wohl was anderes gemeint.

Schließlich erfuhr ich von der Frau, dass sie zwei Kinder hatte. Jedes Kind lud sie einmal im Monat zum Essen ein und manchmal nahmen sie ihre Mutter sogar mit auf einen Spaziergang oder zum Eis essen. Mindestens einmal in der Woche riefen sie an um sich zu vergewissern, dass es ihr gut ging und sie war sehr zufrieden, obwohl sie allein lebte und wenn es ihr mal nicht gut ging, gaben ihr die Kinder schon allein dadurch Kraft, dass sie merkte, wenn nötig, wären sie da.

Ich erzählte ihr, dass ich auch allein wäre und drei Kinder hätte, aber nur an Geburtstagen und Weihnachten und zum Muttertag würde man mich besuchen. Auch Anrufe waren höchst selten. 1 – 2 x im Jahr gäbe es eine Überraschungseinladung, aber das war es dann auch. Ich erzählte, dass ich das völlig okay finden würde, sie hätten ja ihr Eigenleben und sagte nichts davon, wie traurig mich das machen würde und wieviele Tränen ich schon vergossen habe. Im Prinzip bestand die Familie nur noch der Form halber. Schließlich erhob ich mich und wünschte ihr noch einen guten Tag und ging, denn das Sprechen viel mir schwer, weil der Kloß im Hals immer größer zu werden schien.

Voller Gedanken ging ich nach Hause und während sich der Kloß langsam auflöste, fragte ich mich wieder einmal, warum das Leben manchmal so schwer war und warum es noch nicht mal das Miteinander in der Familie funktionierte. War es da verwunderlich, wenn es mit anderen Menschen oft auch nicht klappt? Zu Hause schaute ich in den Spiegel und sagte zu meinem Spiegelbild: Heute wird aber nicht geweint. Wenn keiner gut zu Dir ist, dann sei Du es. Setzte mich auf die Couch, hörte schöne Musik, trank ein Gläschen Wein und strich mir sanft über das Haar und fing an von besseren Zeiten zu träumen.

(c) I. Frees